Die „Pille“ aus der Leitung: Wie schädlich sind Hormone im Wasser?

Die „Pille“ aus der Leitung: Wie schädlich sind Hormone im Wasser?

Immer häufiger lassen sich Hormone im Leitungswasser nachweisen. Wo kommen diese her und welche Folgen haben sie für die Gesundheit?

Neben den klassischen Bakterien und Schadstoffen spielen Arzneimittelrückstände im Trinkwasser eine wachsende Rolle. Dazu gehören vor allem Hormone, die als Verhütungsmittel eingenommen nur unvollständig abgebaut wieder ausgeschieden werden. Vom Abwasser gelangen sie früher oder später unweigerlich ins Trinkwasser und sorgen für wachsende Probleme bei Mensch und Tier.

Arzneimittelrückstände: Vom Abwasser ins Trinkwasser

Statistiken zufolge nimmt jeder Deutsche täglich ein bis zwei Medikamente ein. Was im mittleren Alter mit einer Tablette beginnt, endet im Alter mit einem Cocktail an Arzneimitteln. Im Schnitt über alle Alterststufen bleiben rund 120 Millionen Tabletten, die die Deutschen täglich einnehmen. Geht man von einem angenommenen Durchschnittsgewicht von 250 Milligramm pro Tablette aus, entspräche das 30 Tonnen pro Tag und knapp 11.000 Tonnen im Jahr.

Die darin enthaltenen Wirkstoffe verstoffwechselt der Körper nur teilweise, sodass er einen Teil ausscheidet. Auch viele Abbauprodukte sind weiterhin biologisch aktiv. Zudem haben viele Menschen die Unsitte, angebrochene oder abgelaufene Arzneimittel in der Toilette herunterzuspülen oder in den Hausmüll zu werfen, statt sie von der Apotheke entsorgen zu lassen. In der Natur bauen sich viele Arzneistoffe nur langsam ab, sodass sie sich im Oberflächenwasser und letztlich Trinkwasser ansammeln.

Hormone sind biologisch hochaktiv

Unter diesen Arzneimitteln sind Hormone die Spitze des Eisberges, denn bereits minimale Mengen ziehen erhebliche biologische Effekte nach sich.

Sicherlich kennen Sie die Angabe der Wirkstoffkonzentrationen von Tabletten. Bei den meisten Arzneimitteln liegen diese im Milligrammbereich. Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion wundern sich oft über Angaben wie 50 µg bei ihren Hormonpräparaten mit L-Thyroxin: Mikrogramm ist ein tausendstel Milligramm oder ein Millionstel Gramm.

Das macht deutlich, in welchen Größenordnungen Hormone einen Effekt haben – einem Tausendstel der meisten gängigen Arzneimittel. Bis sich andere Arzneimittelrückstände so weit in der Natur angesammelt haben, dass sie ähnliche Konsequenzen verursachen, wird noch etwas länger dauern.

Warum sind Hormone so wirksam?

Hormone sind Botenstoffe. Endokrine Drüsen geben sie ins Blut ab, das sie im ganzen Körper verteilt und zu ihren Zielzellen bringt. Diese verfügen über spezielle Rezeptoren, an welche die Hormonmoleküle binden und im Inneren der Zelle biochemische Vorgänge in Gang setzen. So gelangen Steroidhormone, zu denen auch die Wirkstoffe der Antibabypille gehören, in den Zellkern und verändern die Ablesung der DNA. Vergleichbar ist das mit dem Drücken eines Schalters, der in einer ganzen Fabrik den Strom einschaltet. Dafür reichen bereits minimale Mengen.

Kontrolliert man die Hormone bei der Trinkwassergewinnung?

Hormone und Arzneimittel gehören zu den Substanzen, deren Kontrolle die Trinkwasserverordnung nicht vorsieht. Das liegt in erster Linie daran, dass die Messung mit speziellen massenspektrometrischen Verfahren sehr aufwendig ist. Ebenso aufwendig ist eine Entfernung von Hormonen aus dem Leitungswasser. Technisch ist das möglich, aber teuer. Lässt sich der Eintrag von Hormonen ins Trinkwasser nicht in den Griff bekommen, sind Preiserhöhungen auf Dauer absehbar.

Hormone im Trinkwasser: Hilft Wasser abkochen?

Leider ist es nicht möglich, Hormone im Leitungswasser mit Abkochen effektiv zu beseitigen. Man unterscheidet verschiedene Formen dieser Botenstoffe, von denen die Peptid- und Proteohormone und die Steroidhormone die Wichtigsten sind. Erstere bestehen aus wenigen Aminosäuren, Letztere sind Abkömmlinge des Cholesterins. Hormone aus kurzen Aminosäureketten sind im Vergleich zu langkettigen Eiweißen relativ hitzestabil. Noch beständiger sind die Steroidhormone. Als Geschlechtshormone sind sie der medikamentös wirksame Bestandteil von Antikonzeptiva, deren Verbreitung sie beim Thema Hormone im Wasser zum Hauptproblem macht.

Steroidhormone kommen in der Natur nur in geringen Mengen vor. Im Laufe der Evolution sind daher nur wenige Mikroorganismen auf die Idee gekommen, eine derart unrentable Quelle für ihre Energiegewinnung zu erschließen - völlig anders als Nitrate, die dank unserer modernen Landwirtschaft so allgegenwärtig sind, dass sie sich trotz schnellen Abbaus im Wasser anreichern. Daher verbleiben Hormone, sind sie erst einmal ins Grundwasser oder in Oberflächengewässer gelangt, für lange Zeit in der Umwelt und sammeln sich immer mehr an.

Ähnliches gilt für zahlreiche weitere Medikamente wie etwa Antibiotika im Leitungswasser. Diese sind nicht nur relativ stabil, sondern tragen zu der wachsenden Resistenzentwicklung vieler Krankheitskeime wie MRSA oder EHEC bei. Die Probleme sind schon heute absehbar: Je mehr davon in die Umwelt gelangen, desto mehr werden wir in naher Zukunft mit kaum mehr beherrschbaren Bakterienstämmen zu kämpfen haben.

Kann man Hormone im Trinkwasser filtern?

Ältere Kläranlagen sind nicht für die Beseitigung von Hormonen aus dem Trinkwasser ausgelegt. Nur bei modernen Anlagen sind Aktivkohlefilter vorhanden, die viele Medikamente effektiv binden. In kleinerem Maßstab sind solche Kohlefilter auch für Haushalte erhältlich. Filtersysteme, die nur Ionenaustauscher, aber keine Aktivkohle enthalten, sind zum Entfernen von Hormonen aus dem Trinkwasser ungeeignet. Gemischte Systeme beseitigen außer Antibiotika und Hormonen unerwünschte Schadstoffe aus dem Leitungswasser, darunter Blei, Uran und Chlor.

Sinnvoll ist ein solches Filtersystem allerdings nur, wenn man die Filterkartuschen regelmäßig wechselt. Die Kartuschen sind relativ teuer, sodass die meisten Leute sie zu lange im Einsatz haben. Zum einen ist die Aktivkohle nicht ewig haltbar und ihre Aufnahmekapazität nach einer Weile erschöpft. Außerdem bietet sie Bakterien einen ausgezeichneten Nährboden. Sind die Filtersätze zu lange im Einsatz, besteht zudem die Gefahr, dass festgehaltene Schadstoffe wieder freigesetzt werden und man das genaue Gegenteil dessen erreicht, was man damit bezwecken wollte.

Kann ich mein Leitungswasser auf Hormone testen?

Wasserversorger sind verpflichtet, gesundheitlich unbedenkliches Wasser zu liefern. Schadstoffe und Bakterien darf dieses nur bis zu den gesetzlich zulässigen Grenzwerten der Trinkwasserverordnung enthalten. Ihre Gewährleistung haftet jedoch an der Wasseruhr. Daher kontrollieren viele Verbraucher, welchen Einfluss die Leitungen des Hauses auf die Wasserqualität haben.

Für Bakterien, Nitrat und Schwermetalle ist das kein Problem. Man erhält hierfür spezielle System, mit denen man Trinkwasser selber testen oder Wasser testen lassen kann. In letzterem Falle schickt man eine Wasserprobe an ein Fachlabor, das die entsprechenden Untersuchungen vornimmt. Auf Nummer sicher geht man mit Wassertests, bei denen Mitarbeiter eines Labors oder des örtlichen Gesundheitsamtes vorbeikommen und das Wasser fachgerecht selbst entnehmen.

Alle diese Tests zur Überprüfung der Wasserqualität sind jedoch nicht auf die Detektion von Hormonen ausgelegt. Der Nachweis der in solch verschwindend geringen Mengen vorhandenen Botenstoffe ist nur mit der Massenspektrometrie möglich, einem teuren und aufwendigen Verfahren, das nur in speziellen Fällen zur Anwendung kommt. Für die Bestimmung von Antibiotika im Trinkwasser gilt Ähnliches. Dafür arbeitet ein Massenspektrometer ausgesprochen genau - man denke an das mittlerweile sprichwörtlich gewordene Stück Würfelzucker im Bodensee.

Welche Auswirkungen haben Hormone in der Natur?

Besonders bei Steroidhormonen werden Effekte schnell offensichtlich. Angler berichten über zusehende Verweiblichung von Fischbeständen und Fröschen in der Nähe von Kläranlagen. Hormonell induzierte Geschlechtstransformationen bei Wassertieren hat man in zahlreichen Untersuchungen bestätigt. Durch den Verzehr hormonhaltiger Schnecken aus Klärbecken traten solche Veränderungen sogar bei Vögeln auf.

Möglicherweise ist das ein Grund für den Rückgang der männlichen Fertilität. In den letzten Jahrzehnten hat die Spermienqualität drastisch abgenommen. Im Extremfall würden Hormonrückstände der „Pille“ Männern Brüste wachsen lassen. Laut aktuellen Studien sind bisher vor allem Ungeborene, Säuglinge und Kleinkinder von hormonellen Umwelteinflüssen betroffen. Wissenschaftler sehen zudem einen Zusammenhang mit Erkrankungen des endokrinen Systems wie Diabetes, Infertilität oder Fehlfunktionen der Schilddrüse.

An solchen Effekten sind nicht nur „echte“ Hormone beteiligt, sondern auch „Umwelthormone“, endokrin wirksame Substanzen (Xenohormone, endokrine Disruptoren, EDC). Dazu gehören Weichmacher und Härter aus der Plastikindustrie wie auch Pestizide und Kosmetika. Sie gleichen in ihrer Struktur Hormonen und bringen den menschlichen Stoffwechsel in ähnlicher Weise durcheinander.

Quellen, Links und weiterführende Literatur

  • Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz:
  • Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung).
  • Schenck K, Rosenblum L, Wiese TE, Wymer L, Dugan N, Williams D, Mash H, Merriman B, Speth T.
    Removal of estrogens and estrogenicity through drinking water treatment.
  • J Water Health. 2012 Mar;10(1):43-55. doi: 10.2166/wh.2011.135. Huerta-Fontela M, Galceran MT, Ventura F.
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  • Water Res. 2011 Jan;45(3):1432-42. doi: 10.1016/j.watres.2010.10.036. Epub 2010 Nov 5. Touraud E, Roig B, Sumpter JP, Coetsier C.
    Drug residues and endocrine disruptors in drinking water: risk for humans?
  • Int J Hyg Environ Health. 2011 Nov;214(6):437-41. doi: 10.1016/j.ijheh.2011.06.003. Epub 2011 Aug 31. Review.
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